Einkaufsmeile Zeil - Unsere Fuzo

Hans Hermann Kotte, Frankfruter Rudnschau vom 15.02 2011

Man kommt nicht an ihr vorbei, obwohl man sie am liebsten großräumig umgehen möchte: die Zeil. Sie ist Frankfurts bekannteste und berüchtigtste Einkaufsmeile. Unser Autor erkundet, warum wir es lieben, diese Straße zu hassen.

 
Neu gepflastert: Frankurter Hauptwache, Treppenabgang B-Ebene, Zeil. Foto: Michael Schick

Tatsächlich meiden nicht wenige Frankfurter die große Einkaufsstraße und benutzen lieber die Parallelstraßen, wenn sie als Fußgänger die Innenstadt durchqueren. Oder sie fahren per S- oder U-Bahn unten drunter entlang.

Denn die Zeil wirkt auf Flaneure eher abschreckend – nicht nur, weil sie eine Dauerbaustelle ist und das Warenangebot von den allgegenwärtigen internationalen Ketten bestimmt wird. In der Zeil möchte man nicht unbedingt verweilen. Auch die Möblierung mit Brunnen, Bänken, Plantanen und Pavillons hilft da kaum. Ästhetisch hat diese Straße wenig bis nichts zu bieten. Und so ist es kein Wunder, dass das Meckern über die Zeil in Frankfurt zum guten Ton gehört. Und zwar so sehr, dass man fast versucht ist, die Zeil zu verteidigen, zumindest aber seinen Frieden mit ihr machen zu wollen. Aber wie?

Zeil in Zahlen

Bis zu 485 Euro pro Quadratmeter kosten die Ladenmieten in der Zeil. Würde man einen Quadratmeter Grund und Boden kaufen, wären 18.000 Euro fällig.

Drei Prozent des deutschen Einzelhandelsumsatzes werden in der Zeil gemacht, sie gilt als eine der umsatzstärksten Einkaufsstraßen der Republik. Der jährliche Umsatz bewegt sich auf die Milliardengrenze zu.

Rund 14.000 Besucher stündlich kommen zur besten Samstagseinkaufszeit. Damit gehört die Zeil zu den Top 5 der deutschen Einkaufsmeilen. 500 Meter lang ist der Teil der Zeil, der Fußgängerzone ist.

Rund 700.000 D-Mark betrug der Sachschaden durch die Kaufhausbrandstiftungen vom 2. April 1968. Als Ziel für die politisch motivierten Brandanschläge wählten Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die späteren Begründer der Rote Armee Fraktion (RAF), den Kaufhof und das Kaufhaus M. Schneider. Da die Brandsätze um Mitternacht zündeten, kamen keine Menschen zu Schaden.

Stadtführungen mit Christian Setzepfand: www.kultours.de
www.frankfurter-stadtevents.de

Ich habe es zunächst mit Lektüre und dann mit einer professionellen Stadtführung versucht.

Das Lesen hat nicht geholfen, denn rasch stieß ich auf eine Kolumne des Ex-Titanic-Redakteurs Christian Y. Schmidt. Titel: „Die hässlichste Fuzo der Welt“. Wobei Fuzo Fußgängerzone heißt und es um die Zeil des Jahres 2008 geht – also noch vor der jüngsten städtebaulichen Auffrischung. „Mit diesem Ausbund an architektonischer Tristesse nimmt es keine Fußgängerzone in Seoul, Peking oder Bangkok auf. Selbst Eisenhüttenstadt, Magnitogorsk oder Chongqing müssen passen.“ Und jeder Versuch, die Zeil aufzuhübschen, mache „alles nur noch schlimmer“, so Schmidt.

Ähnliches musste ich über die Hauptwache und die Konstablerwache lesen, die Plätze, die die Zeil-Fußgängerzone begrenzen. Beide Plätze haben es locker in das Kompendium „Architektursünden in Hessen“ des Architekten und Architekturkritikers Christoph Mäckler geschafft. „Wer nicht weiß, dass die Hauptwache das Herz der Frankfurter Innenstadt ist, würde es schwerlich an ihrem Erscheinungsbild ablesen können“, heißt es da lakonisch über das westliche Ende der Zeil. Und die Konstablerwache sei „einer der dringlichsten städtebaulichen Sanierungsfälle in Frankfurt“. Immerhin sollen beide Plätze in den nächsten Jahren umgebaut werden.

Nach dieser Lektüre wendete ich mich an den Kunsthistoriker und Stadtführer Christian Setzepfandt, 1957 in Frankfurt geboren und einer der profundesten Kenner der Stadt. Von ihm ließ ich mich zwei Stunden über die Zeil führen. Und erfuhr dabei, dass diese Straße immer schon zum Zentrum des wirtschaftlichen Stadtlebens gehört hat – und dass hier, am Standort von Post und Telegrafenamt, auch der Ruf von Frankfurt als Kommunikationsknotenpunkt begründet wurde.

Allerdings konnte auch Setzepfandt mir spontan „eigentlich nichts“ nennen, was wirklich schön an der Zeil ihrer heutigen Ausprägung sei. Denn sie werde dominiert von „banaler Gebrauchsarchitektur“, teils „grottenhässlich“. Ausnahme sei das renovierte „Bienenkorbhaus“ an der Konstablerwache, ein beispielhafter 50er-Jahre-Bau mit einem Anbau von 2009.

Und doch war die Zeil einst eine Schönheit, wie Setzepfandt bei der Tour erklärt. Die Ursprünge der Straße liegen im 14. Jahrhundert und auf dem Glacis der Staufischen Mauer, dem Raum außerhalb der Mauer, der nicht bebaut war, damit eventuelle Feinde keine Deckung fanden. Das Glacis blieb auch bei der Stadterweiterung erstmal „leer“ und wurde als Viehmarkt benutzt. Die Bebauung mit Häusern erfolgte zunächst einzeilig, daher der Name Zeil.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurden hier schöne Patrizierhäuser erbaut, die später durch ebensolche Hotels und schließlich durch große Kaufhäuser abgelöst wurden. Im 19. Jahrhundert galt die Zeil als Prachtstraße – 1843 hieß es in einem Reisehandbuch: „Niemand, und wäre sein Auge auch durch den Besuch der größten Städte Europas verwöhnt, wird der Zeil, dieser Zeile von Palästen, seine Bewunderung versagen können.“

Seltene Spuren der historischen Schönheit

Paläste? Was nach den Bomben des Zweiten Weltkriegs noch an Resten der Zeil-Pracht übrig war, darunter auch das Hauptpostamt von 1891, das erledigten die Abrissbirnen der Wiederaufbaujahre und Verkehrsplanungen. Nach dem Krieg wurde die Zeil um acht Meter verbreitert. Letzte Spuren der historischen Schönheit muss man heute mühsam suchen: Etwa die in rotbraunem Stein ausgeführte Rückseite des früheren Kaufhauses Wronker im Holzgraben, heute Rückseite des H&M-Komplexes.

Habe ich nach der Tour, die den früheren Glanz zumindest aufscheinen ließ, meinen Frieden mit der Zeil gemacht?

Das nicht. Aber mit der Stadtführung konnte ich mir Frankfurts große Einkaufsstraße ein bisschen mehr zu eigen machen, kann sie nun, zumindest an einigen Stellen, mit anderen Augen sehen. Und das ist ja schon was.